Emotionsgeladen

Dies Academicus, 17.05.2017. HS III (Hauptgebäude)

Unser aktuelles Rahmenthema Emotionen wird in den Vorträgen des Tages aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven erörtert:
Die Beiträge aus der differentiellen Psychologie, der Neurobiologie, der Linguistik, den Medienwissenschaften und der Moralphilosophie geben Einblicke in die biologischen Grundlagen der menschlichen Emotionalität, die mögliche Ambivalenz von Mitgefühl, die Darstellung von Gefühlen im Alltagsgeschehen und ihre narrative Bearbeitung in Fernsehserien oder bei Instagram.
Der Keynote-Vortrag von Prof. Dr. Volker Kronenberg vom Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie über das Verhältnis von Politik und Emotionen rundet das Spektrum des Forums aus Forschung und Lehre ab.

Betreuer und Betreuerinnen der vortragenden Nachwuchswissenschaftler und Nachwuchswissenschaftlerinnen: Univ.-Prof. Dr. Stephan Habscheid (Germanistik/Angewandte Sprachwissenschaft), Prof. Dr. Britta Hartmann (Filmwissenschaft/Audiovisuelle Medienkulturen), Univ.-Prof. Dr. Dr. René Hurlemann (Medizinische Psychologie UKB/NEMO), Dr. Erika Linz (Interkulturelle Kommunikation und Mehrsprachigkeitsforschung), Prof. Dr. Dipl. Psych. Martin Reuter (Differentielle & Biologische Psychologie), Prof. Dr. Dr. Jochen Sautermeister (Katholische Theologie/Moraltheologie), Prof. Dr. Caja Thimm (Medienwissenschaft und Intermedialiät).

Hier finden Sie den Flyer und das Plakat dieser Veranstaltung.

Programm

Emotionen sind wichtiger Bestandteil menschlichen Sozialverhaltens. Sie sind hilfreich, um soziale Situationen einzuschätzen, sie lenken Verhalten, Erleben und Gedanken oder signalisieren den aktuellen Gemütszustand. Unreguliert behindern Emotionen aber auch soziale Interaktion, wenn sie nicht an die Erfordernisse sozialer Situationen angepasst werden, wie im Falle vieler psychischer Störungen. Auf neurobiologischer Ebene gibt es eine Reihe von Gehirnstrukturen und biologischen Prozessen, die interindividuelle Unterschiede in der Fähigkeit zur Emotionsregulation erklären können. Hierbei unterscheidet man bewusste und unbewusste Regulationsprozesse. Im Rahmen des Vortrages werden verschiedene neurobiologische Strukturen und ihre Funktion für Emotionsregulation, der Zusammenhang mit psychischen Störungen sowie mögliche Einflussfaktoren auf die Fähigkeit zur Emotionsregulation vorgestellt.

Das Hormon Oxytocin wird in populärwissenschaftlichen Medien häufig als Kuschel- oder Liebeshormon beschrieben. Tatsächlich zeigen sowohl Tier- als auch Humanstudien, dass dem Hormon eine große Bedeutung für die Eltern-Kind- und partnerschaftliche Bindung zukommt. Besonders die Wahrnehmung von sozial-relevanten Reizen wird von Oxytocin beeinflusst. Neuere Befunde deuten jedoch darauf hin, dass Oxytocin auch weniger positive Effekte haben kann. In dem ersten Teil dieses Vortrages sollen daher neben den pro-sozialen Wirkungen auch mögliche „anti-soziale“ Effekte von Oxytocin bei gesunden Frauen und Männern beleuchtet werden. Im zweiten Teil dieses Vortrages wird kurz auf verschiedene psychiatrische Konditionen wie Autismus und soziale Phobie eingegangen. Diese Konditionen beinhalten Störungen des Sozialverhaltens, welche zum Teil auf abnormaler Wahrnehmung von sozialen Signalen beruhen. Da die Gabe von Oxytocin die Sensitivität auf soziale Reize bei Gesunden verstärkt, wird Oxytocin mittlerweile auch in klinischen Studien für die Therapie dieser Konditionen eingesetzt. Bisherige Erfolge dieser Vorgehensweise werden diskutiert.

Mitgefühl/Mitfühlen bedeutet, die emotionale Situation eines Gegenübers zu erfassen, ohne dabei zu vergessen, dass es sich nicht um die eigenen Gefühle handelt. Mitgefühl zu empfinden, basiert somit auf einer aktualisierten Differenzierungsfähigkeit zwischen Selbst und Anderem. Mitfühlen kann ein besonderes Beziehungsgeschehen ermöglichen, das aufgrund seiner emotionalen Dimension zum Gelingen sozialer Interaktion beitragen kann. Denn durch die mittelbare Kenntnis der Befindlichkeit des Anderen ist eine wichtige Voraussetzung gegeben, um achtsam und sensibel auf das Gegenüber eingehen zu können. Das erworbene Wissen über den Anderen ist jedoch ambivalent; denn es kann auch so eingesetzt werden, dass das eigene Handeln sich nicht vorrangig am Wohl des Gegenübers orientiert, sondern dieses Wissen dazu verwendet, um egoistisch und rücksichtslos die eigenen Interessen durchzusetzen oder destruktive Ziele zum Schaden des Anderen zu verfolgen. Kann Mitgefühl vor diesem Hintergrund als moralische Emotion bezeichnet werden?

Durch die zunehmende Mediatisierung des Alltags und die Verwendung sozialer Netzwerkseiten werden heute auch existenzielle Themen wie Tod, Krankheit und Trauer mit einer digitalen Öffentlichkeit geteilt. Dadurch entstehen nicht nur neue Ausdrucksformen z.B. im Umgang mit dem Tod eines geliebten Menschen, sondern darüber hinaus verändert sich die Art und Weise, wie sich Menschen erinnern. Um zu zeigen, wie sich dies im Detail darstellt, wurden 2.790 Beiträge auf Instagram mit dem #beerdigung analysiert. In den untersuchten Beiträgen wird schnell deutlich, dass unterschiedliche Bilder bestimmte narrative Strategien hervorbringen und oftmals intime Einblicke in die persönliche und familiäre Erinnerung gewährt werden. Im Vortrag soll gezeigt werden, dass Nutzerinnen und Nutzer sich kreativ in Texten und Bildern mit dem persönlichen Verlust auseinandersetzen und in einer emotionalen Ausnahmesituation Gleichgesinnte suchen, die aktiv in den Trauerprozess eingebunden werden.

Ein Blick auf die Praktiken alltäglicher Interaktion zeigt, dass insbesondere Erzählungen wie Klatsch- oder Beschwerdegeschichten von Interagierenden emotionsgeladen sind. Emotionen können hierbei als interaktives und intersubjektives Konstrukt verstanden werden, welche durch unterschiedlichste Praktiken der Sichtbarmachung hergestellt werden und zentral für die Gestaltung sozialer Beziehungen sind. Eine genaue Analyse alltagssprachlicher Daten gibt Hinweise darauf, wie Interagierende mit Hilfe verschiedener sprachlicher und prosodischer Verfahren Emotionen in der Alltagsinteraktion intersubjektiv erfahrbar machen. Mit einem Fokus auf die multimodale Herstellung von Emotionen wird u.a. der Frage nachgegangen, welche nonverbalen Techniken (z.B. Mimik, Gestik, Blick, Körper- und Kopfhaltung) zusätzlich genutzt werden, um Emotionen in Erzählungen interaktiv hervorzubringen und die emotionale Beziehung der Interagierenden zu gestalten. Im Vortrag wird eine Auswahl der Ergebnisse mit konkreten Beispielen, die anhand selbst erhobener audiovisueller Daten in der Türkei und Deutschland gesammelt wurden, präsentiert.

Die Vorspanne von Fernsehserien übernehmen vielfältige Funktionen: Als ein Modul des Episodenanfangs mit hohem Wiedererkennungswert kann das Serienintro narrative Substanzen wie etwa Figuren oder Handlungsorte vorstellen, Themen und Motive der Erzählung etablieren und/oder Genrekennzeichnungen vornehmen. In all diesen narrativen und diskursiven Setzungen sind auch stets emotionale Bedeutungsstrukturen angelegt, um den Zuschauer nachhaltig in die Fiktion zu verwickeln und an das Format zu binden. Gerade die bis zu zwei Minuten langen Sequenzen neuerer Fernsehserien entfalten mitunter komplexe assoziative und affektive Netzwerke, die die handlungsbezogenen Erwartungen prästrukturieren und damit emotionale Gratifikationen versprechen. Mittlerweile als eigene Kunstform betrachtet, hat der Serienvorspann unterschiedliche Emotionalisierungsstrategien ausgebildet, die mit bestimmten audiovisuellen Repräsentationsmodi verbunden sind. Diese sollen im Beitrag vorgestellt und diskutiert werden.

„Emotionen“ scheinen für die Politik im 21. Jahrhundert – „gefühlte Wirklichkeiten“, „alternative Fakten“, „post-truth politics“, nicht zuletzt seit „Trump“ und „Brexit“ – wichtiger denn je zu sein. Inszenierung und Propaganda – so scheint es – haben nüchterne, auf Fakten basierende sachliche politische Auseinandersetzungen nahezu ersetzt. Doch inwiefern basiert diese These nicht auch nur auf einem Gefühl?
Fakt ist: Der Appell an das Gefühl, das Wecken und das Leben von Emotionen im politischen Diskurs sind so alt wie die Politik selbst: Strategien, Emotionen durch politische Reden gezielt zu beeinflussen, waren bereits Gegenstand der antiken Rhetorik – und sind bis heute keineswegs nur ein Mittel von Populisten und Demagogen. Im Gegenteil: Die politische Auseinandersetzung braucht neben aller notwendigen Sachlichkeit das emotionale Momentum, um die Botschaft konkreter Vorhaben und langfristiger Ziele zu transportieren. 

PD Dr. Hedwig Pompe (Arbeitsstelle Internationales Kolleg)

Prof. Dr. Annette Scheersoi (Fachdidaktik Biologie)

Dr. Kai Sicks (Dezernat Internationales)

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