Maskeraden

Dies Academicus, 01.12.2021, online

Der von der Epidemie geforderte Nasen- und Mundschutz scheint i.d.R. eine ‚Maske‘ ohne Spiel und Lust an der Verkleidung zu sein, abgedrängt in die alleinige Schutzfunktion. Die Vorträge unseres Forums umkreisen das Thema Maske hingegen als ein kulturhistorisch und soziologisch höchst interessantes Phänomen, das auch die medizinische Maske in ein anderes Licht rückt. Bereits die Antike verbindet mit dem Begriff ‚persona‘ die Charaktermaske des Redners, der seine Rolle in der Öffentlichkeit einnimmt. Die spielerische Verkleidung ist konstitutiv für jede Art von Theater, die Maske prägt die Rituale in verschiedensten Kulturen oder fordert in der Geste des Verbergens zur Suche nach einer darunter liegenden Wahrheit heraus. Wir finden Maskierungen in der Natur, die wiederum bestimmte Funktionen übernehmen können. Die Vorträge des Tages entfalten aus der Sicht der Philosophie, der Medical Humanities, der Genetik, der Orient- und Asienwissenschaften und der Komparatistik, dass Wissen und Erkennen, Maskierung und Demaskierung, spielerischer und funktionaler Einsatz von Maskeraden uns an Grenzen führen, aber genauso kreativ anzuregen vermögen.
Die begleitende Ausstellung von Masken, die Schüler*innen der Christopherusschule in Königswinter geschaffen haben, runden mit ihrer Expressivität unsere Veranstaltung auf besondere Weise ab. Wir danken Anna Riman, die diese Kooperation ermöglicht hat!

Beteiligt sind das Strukturierte Promotionsprogramm der Philosophischen Fakultät, das Strukturierte Promotionsprogramm des Instituts für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft und das Nachwuchsforum DIES&DAS, das seit 2015 am Dies Academicus fakultätsübergreifend Vorträge zu einem Themenschwerpunkt präsentiert.

Betreuer*innen der Vortragenden:
Prof. Dr. Rainer Schäfer, Prof. Dr. Mariacarla Gadebusch Bondio, Prof. Dr. Oliver Gruß, Prof. Dr. Julia Hegewald, Prof. Dr. Christian Moser, Prof. Sean Allan (St Andrews/Schottland), Priv.-Doz. Dr. Neil Stewart

Hier finden Sie den Flyer und das Plakat dieser Veranstaltung.

Bei Rückfragen wenden Sie sich gerne an aik@uni-bonn.de.

Programm

Platons Höhlengleichnis beschreibt den Weg des Menschen von der Wahrnehmungswelt zur Einsicht in das geistige, wahrhafte Sein der platonischen Ideen. Die Wahrnehmungswelt kennzeichnet Platon dabei als doppeltes Abbild – als Schatten, die Statuen von Menschen und Lebewesen an die Höhlenwand werfen. Die Ideen wiederum werden durch den Himmel und das irdische Leben außerhalb der Höhle dargestellt. Der Weg vom einen zum anderen führt, wie Platon erklärt, über mathematisches Studium. Dieses bringe den Menschen allerdings nur bis zu den „göttlichen Erscheinungen im Wasser und Schatten des Seienden“ außerhalb der Höhle. Mathematische Erkenntnis ist demnach als unmittelbarster Ausdruck der Ideensphäre zu verstehen und bleibt dennoch defizitäres Abbild. Der Vortrag untersucht dieses Doppelverhältnis des Darstellens und Verstellens. Dazu vergleicht er wichtige Problemstellungen und Konzepte der antiken Mathematik mit den philosophischen Fragestellungen der platonischen Ideentheorie.

Gesichtsmasken stehen in der Pandemie paradigmatisch für Präventionsmaßnahmen, die Mimik, Gestik, Körperlichkeit verschleiern. Doch bereits anfängliche Aushandlungsprozesse zwischen Alltagsmaske aus Stoff, medizinisch zwei- oder dreilagig und dann mit Nasensteg oder Ausatmungs­ventil zeigen den Variationsraum, der sich zwischen den Anforderungen normierter Filterleistung und individueller Passform von Gesicht und Kopfgröße aufspannt, und dabei auch eigene Verwertungspraktiken einzuschließen scheint. In dem Beitrag soll den Wechselbeziehungen von Schutzwirkung und Form medizinischer Masken im Wandel von Krankheitskonzepten nachgegangen werden.

Spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine neurodegenerative Erkrankung, die sich durch Muskelschwund, ausgelöst durch absterbende Nervenzellen, äußert. Sie ist die häufigste, erblich bedingte Säuglingserkrankung mit Todesfolge. SMA tritt in verschiedenen Schweregraden, immer ausgelöst durch einen Funktionsverlust des „Survival of Motor Neuron“-Proteins (SMN), auf.

Menschen verfügen über zwei Kopien des SMN-Gens. Kommt es zu einer schädlichen Mutation des ursprünglichen SMN-Gens, kann die andere Kopie nur einen Teil des Funktionsverlusts maskieren, jedoch nicht ausgleichen. Wie ist das möglich? Auf den ersten Blick fehlt der zweiten Kopie lediglich ein unbedeutender Teil. Eine mögliche Erklärung ist der Unterschied zwischen den Kopien, „Proteintröpfchen“ bilden zu können oder eben nicht – eine besondere Eigenschaft von SMN, die wir in unserem Labor untersuchen. Wir hoffen, dass wir so der Antwort auf die Frage näherkommen, warum das Krankheitsbild nur unzureichend maskiert wird.

Was wird durch chinoise Maskeraden direkt und indirekt ausgedrückt und kommuniziert? Und was spiegeln sie über die Beziehung Europas und Asiens während des 18. Jahrhunderts wider? Fest steht, dass chinoise Maskeraden nur eine Facette der komplexen und vielschichtigen Beziehung zwischen Ost und West darstellen. In ihnen drückt sich in künstlerischer Form ein bestimmter Aspekt der europäischen Asienrezeption und des asiatischen Einflusses auf die europäische Kultur aus. Ein Vergleich mit anderen künstlerischen Ausdrucksformen der europäischen Faszination für Asien verhilft zu einem größeren Verständnis dafür, in welchem Umfang, Rahmen und insbesondere auf welcher Ebene ein Austausch zwischen Asien und Europa stattfand. Dabei werden Erscheinungsform und Funktion von chinoisen Maskeraden mit dem Aspekt der Transkulturalität in Verbindung gebracht und anhand von Bildmaterial veranschaulicht und diskutiert.

Der Vortrag geht dem Einsatz karnevalesker Elemente im DEFA-Film Blonder Tango von Lothar Warneke aus dem Jahr 1986 nach. Er beschäftigt sich damit, wie über das Karnevaleske interkulturelle Begegnung, Exilerfahrung und das Ideal des antifaschistischen Widerstandskämpfers problematisiert werden. Im Zentrum steht die narrenähnliche Figur des Chilenen Rogelio, der wegen seines Engagements für die Regierung des Sozialisten Salvador Allendes nach dem Militärputsch von 1973 in die DDR fliehen musste. Er arbeitet als Lichttechniker in einem Rostocker Theater, wo Lebens- und Bühnenwirklichkeit fortwährend miteinander verschwimmen. Im Vortrag wird auch der Rogelio verkörpernde, chilenische Schauspieler und Theaterregisseur Alejandro Quintana zu Wort kommen, der seit seiner Flucht in die DDR 1973 in der deutschen Theaterszene tätig ist.

Der Verlag Kiepenheuer & Witsch veröffentlicht 1991 die deutsche Fassung von Bret Easton Ellis‘ American Psycho. Der Roman wird nach seiner Erstveröffentlichung in den USA 1990 kontrovers diskutiert und im Feuilleton als „das scheußlichste, widerwärtigste und grausamste Buch des Jahres“ bezeichnet. In Deutschland wird der Roman erst 1995 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert und bundesweit mit einem Verkaufsverbot belegt. Diese nachträgliche Indizierung löst eine aus heutiger Sicht interessante wie hitzige Diskussion aus. Der Verlag selbst bezeichnet die Entscheidung als „skandalös und entlarvend“, denn sie soll lediglich auf einer Stellenlektüre basiert haben. Gleichzeitig werfen die Antragsteller auf Indizierung dem Roman vor, sich lediglich die Maske der Literatur aufgesetzt zu haben, um Grausamkeiten zeigen zu können. Im Vortrag soll am Beispiel von American Psycho über die Indizierungspraxis und über die Problematik, ‚Kunst‘ juristisch zu definieren, gesprochen werden.

Inspiriert von den ausdrucksstarken Holzmasken der Alemannischen Fastnacht haben die 6. Klassen der CJD Christopherusschule Königswinter im Rahmen des Kunstunterrichts die Aufgabe erhalten, Masken aus Pappmaché zu formen. Ziel ist es dabei, die menschlichen Gesichtszüge zu erforschen und bis ins Groteske zu verfremden. Eine Vorübung ist das sprichwörtliche Erfassen des eigenen Gesichts durch Abtasten der Höhen und Tiefen. Ausgehend von der eigenen “Gesichtslandschaft” sollen die ertasteten Formen plastisch wiedergegeben und überformt werden. Die dreidimensionale Form entsteht aus den Schichtungen des Papiers. Das Glattstreichen der Oberfläche ist Grundlage für die spätere Bemalung. Haptische Erfahrung und plastische Verformung sind bei Pappmaché ebenso gewährleistet wie bei Ton, mit dem Vorteil, dass die Masken aufgrund ihrer Leichtigkeit später auch getragen werden und damit ihrem eigentlichen Zweck zugeführt werden können: der Verfremdung des eigenen Gesichtes.

Priv.-Doz. Dr. Hedwig Pompe (Philosophische Fakultät/Neuere deutsche Literatur; Arbeitsstelle Internationales Kolleg; DIES&DAS Forum)

Prof. Dr. Annette Scheersoi (Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät/Fachdidaktik Biologie; Prorektorin Nachhaltigkeit; DIES&DAS Forum)

Prof. Dr. Jochen Sautermeister (Katholisch-Theologische Fakultät/Moraltheologie; Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät; DIES&DAS Forum)

Prof. Dr. Ulrich Ettinger (Philosophische Fakultät/Institut für Psychologie; Prodekan für Forschung und Internationales der Philosophischen Fakultät; Strukturiertes Promotionsprogramm der Philosophischen Fakultät)

Priv.-Doz. Dr. Peter Glasner (Philosophische Fakultät/Germanistische Mediävistik; Strukturiertes Promotionsprogramm des Instituts für Germanistik)

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